Skip to content
Würfel mit der Aufschrift RECAP
Melanie EbersDec 17, 2024 12:26:36 PM7 min Lesezeit

ESG: RÜckblick 2024

Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Zeit, einen Blick auf die jüngsten Entwicklungen in der ESG-Landschaft zu werfen. 2024 war für die ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) besonders prägend: Nachhaltigkeit und sozIale Verantwortung rückten stärker in den Fokus, während Unternehmen und Investoren gleichermaßen vor neuen Herausforderungen und Chancen standen. Dieser Artikel gibt einen Überblick über die wichtigsten Trends und Ereignisse, die das ESG-Thema im Jahr 2024 geprägt haben, sowie einen Ausblick auf 2025. 

 

Kritik an Nachhaltigkeitsrichtlinien und Berichterstattungspflichten

Bereits seit 2023 steht die ESG-Bewegung insbesondere in Europa und den USA zunehmend unter Druck. Verpflichtende Nachhaltigkeitsrichtlinien wie die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) erfahren nicht nur Zuspruch, sondern auch Kritik. Die CSRD verpflichtet bereits seit 2024 börsennotierte Unternehmen, Unternehmen von öffentlichem Interesse und Finanzinstitute, detaillierte Informationen zu Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen offenzulegen. Es erfolgt eine stufenweise Einführung der Richtlinie, sodass im Jahr 2025 auch Unternehmen, die zwei von drei festgelegten Größenkriterien erfüllen, unabhängig von ihrer Börsennotierung betroffen sein werden. Da Deutschland durch familiengeführte Unternehmen geprägt ist, wird das Verhältnis von Aufwand und Nutzen der neuen Offenlegungspflicht oftmals angezweifelt. Viele Organisationen fühlen sich schlichtweg überfordert.

In den USA gibt es vergleichbare Debatten über die geplanten SEC-Berichterstattungsvorschriften, die Unternehmen unter anderem dazu verpflichten, ihre Treibhausgasemissionen zu melden. Kritiker beider Länder argumentieren, dass diese Maßnahmen hohe Kosten verursachen und insbesondere kleinere Unternehmen übermäßig belasten. Aber nicht nur kleinere und mittelständische Unternehmen äußern Bedenken hinsichtlich der praktischen Umsetzbarkeit der Vorschriften, sondern auch Wirtschaftsverbände, sowie konservative Politiker und regierungsnahe Organisationen in den USA.

Energiekosten als kritischer Standortfaktor

In der Transitionsphase von fossiler zu erneuerbarer Energieerzeugung fungiert der CO2-Preis als wirkungsvolles Lenkungsinstrument. Im Zusammenhang mit der schwachen Nachfrage des chinesischen Marktes nach deutschen Produkten reagieren Unternehmen allerdings zunehmend empfindlich auf die Entwicklung der Energiepreise als wesentlicher Treiber der Produktionskosten. Da die EU weiterhin das ehrgeizige Ziel verfolgt, die THG-Emissionen bis 2040 um 90 % zu reduzieren, stellt die Balance zwischen Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit ein zentrales Thema dar, das auch 2024 stark diskutiert wurde. Nur mit konkurrenzfähigen Energiekosten und einer stabilen Energieversorgung kann Europa, und insbesondere Deutschland, erfolgreicher Industriestandort bleiben. Aus verschiedenen Industriezweigen heraus mehrt sich die Kritik an der derzeitigen Transformationsstrategie der EU. Die Öl- und Gasindustrie äußerte 2024 Bedenken, dass die Kosten eines schnellen Ausstiegs aus fossilen Brennstoffen von Verbrauchern möglicherweise nicht getragen werden können. Zudem wächst stetig der Bedarf an stabiler Energieversorgung. Auch in Europa wird die Deindustrialisierung als Risiko gesehen, da hohe Energiekosten und strikte Vorschriften Unternehmen zunehmend belasten. Industrievertreter fordern daher eine Vereinfachung von Gesetzen, niedrigere Energiekosten und eine Reduzierung regulatorischer Auflagen, um die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Firmen zu sichern.

 

ESG-Aktivismus auf dem Vormarsch

Trotz der soeben beschriebenen Spannungen setzte sich der Trend des zunehmenden ESG-Aktivismus im Jahr 2024 ungebrochen fort. Aktivisten nutzten weiterhin juristische Maßnahmen und Corporate-Governance-Strukturen, um ESG-Ziele zu erreichen. Ein wegweisendes Beispiel für die wachsende Bedeutung dieses Themas lieferte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Im April 2024 urteilte das Gericht, dass die unzureichenden Maßnahmen der Schweiz zur Reduktion von Treibhausgasemissionen als Verstoß gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention zu bewerten seien. Dieser Artikel garantiert das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Die Klage gegen die Schweiz wurde von einer Gruppe älterer Schweizer Frauen, den sogenannten Schweizer Klima-Senioren, sowie fünf weiteren Einzelpersonen eingereicht. Sie argumentierten, dass die unzureichenden Klimaschutzmaßnahmen der Schweizer Behörden ihre Rechte auf Gesundheit und Wohlbefinden gefährden würden. Es ist der erste Fall dieser Art für den EGMR, und die Entscheidung signalisiert, dass weitere ähnliche Verfahren folgen könnten. Dieser Fall verdeutlicht, wie ESG-Themen und rechtliche Verantwortlichkeiten zunehmend ineinandergreifen, was sowohl Unternehmen als auch Regierungen vor neue Herausforderungen stellt.

Die öffentliche Meinung und der Einfluss von NGOs gewannen im Jahr 2024 an Bedeutung. Ein aktuelles Beispiel aus der Modebranche, das den Einfluss von NGOs und öffentlicher Meinung auf Geschäftspraktiken verdeutlicht, ist der Fall der Fast-Fashion-Riesen SHEIN und Temu, die in einem 2024 veröffentlichten Ethical Fashion Report sehr schlecht abgeschnitten haben. Die Unternehmen wurden für ihre mangelnde Transparenz und unzureichenden Maßnahmen zum Schutz von Arbeiterrechten und Umwelt kritisiert. Insbesondere SHEIN und Temu erhielten niedrige Bewertungen aufgrund ihrer nicht offengelegten Lieferketten, was zu öffentlichen Protesten und zunehmendem Druck von Verbraucherorganisationen führte.

 

Regulatorische Entwicklungen im Jahr 2024

Das Jahr 2024 markierte einen wichtigen Meilenstein für ESG, aufgrund von neuen europäischen Vorschriften, die gesetzliche Rahmenbedingungen verändern. Hier ein Überblick über die zentralen Regelungen:

Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD): Seit Januar 2024 gelten neue Anforderungen an die nicht-finanzielle Berichterstattung für große börsennotierte Unternehmen und Finanzinstitute: Diese müssen umfassend über Umwelt-, soziale und Governance-Aspekte berichten. Ab 2025 wird die CSRD auf Unternehmen ausgeweitet, die zwei von drei der folgenden Größenkriterien erfüllen, unabhängig von ihrer Börsennotierung: Mehr als 250 Mitarbeiter; mehr als 50 Millionen Euro Umsatz; mehr als 25 Millionen Euro Bilanzsumme.

Green Claims – EU-Richtlinie gegen Greenwashing: Diese Richtlinie soll Greenwashing bei Umweltkennzeichnungen vermeiden. Die Maßnahme soll somit für mehr Vertrauen in nachhaltige Produkte sorgen. Die Green-Claims-Richtlinie befindet sich momentan noch im Gesetzgebungsprozess. Im März 2024 wurde der Standpunkt des Europäischen Parlaments zum Vorschlag der Kommission in erster Lesung festgelegt. Sobald das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen ist und die Richtlinie in Kraft tritt, haben die EU-Mitgliedstaaten 18 Monate Zeit, um sie in nationales Recht umzusetzen. Unternehmen müssen die neuen Vorschriften innerhalb von 24 Monaten nach Inkrafttreten anwenden.

Verordnung zu entwaldungsfreien Produkten: Mit Inkrafttreten im Dezember 2024 verlangt diese Regelung von Unternehmen strengere Sorgfaltspflichten. Ziel ist es, sicherzustellen, dass importierte Produkte nicht zur Entwaldung beitragen.

 

COP29: Weltklimakonferenz in Baku

Die COP29, die im November 2024 in Baku, Aserbaidschan, stattfand, war ein bedeutendes internationales Ereignis im Kontext der Klimapolitik. Dabei wurde erneut die Notwendigkeit betont, den Klimawandel zu bekämpfen und Maßnahmen zu ergreifen, die vor allem Entwicklungsländern zugutekommen sollen.
Die wichtigsten Themen in Baku:

  1. Klimafinanzierung
    Die Finanzierung von Klimaanpassungs- und Klimaschutzmaßnahmen in Entwicklungsländern war ein zentrales Thema auf der COP29. Es wurde beschlossen, dass die von Industrienationen bereitgestellten Mittel bis 2035 auf jährlich 300 Milliarden US-Dollar anwachsen sollen (New Collective Quantified Goal). Stark vom Klimawandel betroffene Staaten wie Nigeria zeigten sich enttäuscht, da sie mit einem Investitionsbedarf von 1,3 Billionen US-Dollar rechnen.  Zwar wurde vereinbart, die staatlichen Finanzierungsmittel durch privates Kapital auf diese Summe aufzustocken, konkrete Umsetzungsvorschläge wurden jedoch nicht erarbeitet.

  2. Juristischer Rahmen für den globalen Emissionshandel
    Bereits in Art. 6 des Pariser Abkommens ist die Möglichkeit der Übertragung von Emissionsreduktionen zwischen Vertragsstaaten verankert. Zwei Formen sind dabei vorgesehen: der bilaterale Übertrag und ein internationaler, zentral überwachter CO2-Markt (Paris Agreement Crediting Mechanism).

    Bilateraler Handel:
    Unterstützt Land A durch finanzielle Mittel Land B bei der Realisierung von Klimaschutzmaßnahmen, kann sich Land A die resultierende CO2-Reduktion auf seine nationalen Ziele anrechnen lassen – sofern Land B dem zustimmt und es zu keiner Doppelanrechnung kommt. Für den bilateralen Handel wurden konkrete Richtlinien geschaffen, die die Identifizierung und Bewertung von Projekten sowie deren Überwachung und Anrechnung transparent gestalten sollen.

    PACM:
    Über eine zentral organisierte und von der UNO überwachte Plattform sollen zukünftig Emissionsminderungen verlässlich handelbar sein. Bei der COP29 wurde beschlossen, dass akkreditierungsfähige Klimaschutzprojekte weder der Umwelt schaden noch Menschenrechte verletzen dürfen. Sollte es das Territorium von Indigenen Völkern betreffen, ist ihre Einstimmung einzuholen. Entscheidend ist nun, dass die Taskforce der UNO Qualitätsstandards für die Akkreditierung entwickelt sowie konkrete Prozesse für den Handel entwickelt.

 

Ausblick auf 2025: Was ist zu erwarten?

Das Jahr 2025 wird voraussichtlich von einer Reihe globaler Herausforderungen und geopolitischer Entwicklungen geprägt sein, die die Wirtschaft und die Bedeutung von ESG beeinflussen werden.

Für die deutsche Automobilindustrie werden 2025 zwei regulatorische Vorgaben weiterhin für Debatten sorgen: Flottengrenzwerte und das „Verbrennerverbot“ 2035. Beide Instrumente sollen den Übergang zur Elektromobilität beschleunigen und langfristige Investitionssicherheit geben. Beide Instrumente stehen gleichzeitig politisch unter Druck. Im Lichte der deutschen Automobilkrise scheinen das Aussetzen der Flottengrenzwerte für 2025 und eine Verschiebung des Verbrennerverbots derzeit möglich.

Ein weiteres bedeutendes Thema könnte die Deregulierung fossiler Brennstoffe in den USA in der zweiten Amtsperiode von Donald Trump sein. Auch ein erneuter Austritt der USA aus dem Pariser Abkommen ist wahrscheinlich. Beides würde die gesetzlichen Bedingungen für Unternehmen in der EU nicht unmittelbar verändern. Allerdings könnten Verlagerungen fossiler Geschäftsmodelle in die USA zunehmen und insgesamt eine Verlangsamung grüner Innovationen nach sich ziehen.

Lichtblick China: China könnte als weltweit größter Kohlenutzer 2025 bereits den Kohle-Peak erreichen – den Höhepunkt seiner Kohlenutzung, nach dem der Verbrauch voraussichtlich zurückgehen wird. Für die Eindämmung der globalen Erwärmung wäre das außerordentlich positiv, denn China ist der größte Emittent von CO2. Aufgrund der großen wirtschaftlichen Bedeutung Chinas würde der Peak auch ein eindeutiges Signal an fossile Energieerzeuger und verwandte Wirtschaftszweige senden: Der Ausstieg geht schneller als erwartet.

Insgesamt wird 2025 ein Jahr sein, in dem Unternehmen weltweit weiterhin auf den Druck der Öffentlichkeit von NGOs und Regierungen reagieren müssen, während geopolitische und wirtschaftliche Entwicklungen neue Herausforderungen und Chancen für die Implementierung von ESG-Standards schaffen. Deutsche Unternehmen sollten weiterhin aufmerksam nach Brüssel, Washington und Peking blicken.

PASSENDE SERVICES & INSIGHTS

BECEPTUM ist Ihr Partner für CSRD-Wesentlichkeitsanalyse und Nachhaltigkeitsstrategie. Sie wollen kostenlose Whitepaper erhalten oder mehr über unsere Beratungspraxis erfahren?